Genträger-Screening

Genträger-Screening: Konsens in Europa?

Foto von DNA-TestAm Gardasee, 21. März 2009: 24 Experten aus Europa unterhalten sich über die Maßstäbe für ein Bevölkerungsscreening auf Anlageträger für CF. Wir schildern hier, wie ein CF-Patient aus Deutschland diese Diskussion empfindet und sich einmischt.

Es geht ethisch korrekt los: Natürlich wolle man nicht Patienten mittels Abtreibung verhindern, das Ziel liege vielmehr darin, es möglich zu machen, werdenden Eltern von CF-Patienten "eine informierte Entscheidung über ihre Fortpflanzung anzubieten". Das Screening dient dazu, diese Eltern zunächst zu identifizieren. Dabei klingen die Maßstäbe seriös: Die Leute sollten den Test möglichst vor der ersten Schwangerschaft machen, um eine wirklich freie Entscheidung zu ermöglichen. Wenn Ängste auftreten, sollte humangenetische Beratung verfügbar sein, und Kosteneffektivität sollte keine Rolle spielen, obwohl in der Szene seit Jahren heftig gestritten wird, ob sich der Aufwand für die unendlich vielen Gentests finanziell lohnt, indem teure Medikamente für die nicht geborenen Patienten eingespart werden.

In USA und Australien wird schon fleißig gescreent. Die Projektmanager berichten, dass sich die Frauen meist erst als Schwangere testen lassen, weil vorher gar kein Interesse an einem solchen Test besteht. Das Ziel der freien Entscheidung unter mehreren Optionen (Verzicht auf Kinder, Adoption usw.) können wir also in der Praxis vergessen.

Dann geht es um technische Details, z.B.: Wie viele Mutationen sollte das Test-Kit umfassen? Jemand wirft eine Folie mit dem Ergebnis der Arbeitsgruppe an die Wand: Es genüge im Sinne der Kosteneffektivität, ein billiges Kit mit sechs Mutationen zu verwenden, um die Krankheitshäufigkeit zu reduzieren! Wie bitte? Also habt Ihr heute Morgen ein wenig geschwindelt? Dann solltet Ihr dieses Ziel auch ehrlich in den Vorspann schreiben! Die Befürworter reagieren ein wenig nervös auf meine Anmerkung.

Ein weiteres Problem ist, dass jedes 25. Paar als Ergebnis erfährt, dass EIN Partner Merkmalsträger ist und der andere mit einer hohen Wahrscheinlichkeit von z.B. 80% NICHT (da man nicht alle Mutationen testen kann, bleibt eine Unsicherheit). Ihre Wahrscheinlichkeit für ein Kind mit CF hat sich dadurch vom "Normalmaß" von eins zu 2500 auf eins zu 500 verfünffacht. Die Paare bekommen einfach einen Brief vom Labor und werden mit dem Ergebnis alleine gelassen. Ängste werden geweckt, obwohl das Risiko immer noch "gering" ist im Vergleich zum allgemeinen Risiko einer Schwangerschaft. Aus laufenden Screeningprojekten wird berichtet, dass es "in der Praxis" keinesfalls möglich sei, mehreren 10.000 Paaren eine genetische Beratung anzubieten. Achselzucken in der Runde.

Naja, dann sollen die Screening-Teilnehmer aber wenigstens gut aufgeklärt werden über CF, unter anderem möchte man die mediane Überlebenszeit mit 35 angeben. Da stehe ich wieder auf: Der aktuelle Wert ist 40 und ist in den letzten 10 Jahren jährlich um 8 Monate gewachsen. Er wird aus Sterbetafeln errechnet, also aus Daten von Patienten, die vor Jahrzehnten geboren wurden (1). Berücksichtigt man die Veränderungen in den Sterbedaten, kann man die mediane Lebenserwartung für ein heute Neugeborenes mit 50 Jahren abschätzen (d.h. jeder Zweite wird 50 oder älter, siehe 2). Dabei sind die in der Zukunft erwarteten besseren Medikamente gar nicht eingerechnet. Wenn aber die CFPatienten ähnlich alt werden wie die gesunde Bevölkerung Anfang des 20.Jahrhunderts, warum sollte man die alle abtreiben?

Meine Argumente sind den Leuten unbequem, weil sie die Sache insgesamt in Frage stellen. Da wird es einem Befürworter zu bunt, er holt die emotionale Keule raus: Er kenne Familien mit CF, und deshalb könne er ehrlich behaupten, diese Krankheit bedeute lebenslanges Leiden, und müsse man den Familien ersparen. Aha, jetzt sind wir am Punkt. Das mag ja im Einzelfall so erlebt werden. Aber irgendwie komisch, dass diese Leute plötzlich die Wissenschaft ignorieren, wenn sie ihnen nicht in den Kram passt: Die Kennzahlen für Ängste und Depressionen sind bei CF-Patienten niedrig und identisch mit der Normalbevölkerung (3). Die vom Patienten berichtete Lebensqualität hängt nur wenig mit dem Schweregrad der Mukoviszidose zusammen (4). "Lebenslanges Leiden" ist trotz der unbestreitbaren Belastungen eine falsche Einschätzung.

Das Problem ist: Auch wenn kein organisiertes Screening-Projekt wie in den USA zustande kommt, existiert Bevölkerungsscreening auf CF in Europa bereits: Die Firmen stellen den Frauenärzten Faltblätter zur Verfügung, in denen z.B. steht: "Kinder können Ihr Herz erwärmen, Ihre Seele berühren - und an CF leiden. Aber heute gibt es Hoffnung durch Gentests: Früheres Wissen des Genträgerstatus erlaubt frühere und bessere Behandlung" (5) - mich regt es auf, dass die Firma Abott so wissentlich falsch informiert! Der Arzt aber hat das Gefühl, er müsse auf den Test hinweisen, damit er im Falle eines CF-Kindes nicht auf "Schaden" verklagt wird, und legt die Werbung ins Wartezimmer. Und die Schwangere macht dann den Test, um "alles für die Gesundheit des Kindes zu tun", ohne über die Folgen ordentlich aufgeklärt zu sein: Wenn beide Eltern das Gen tragen, bleibt einer Schwangeren als Ausweg oft nur die Abtreibung. Denn wer hat noch den Mut, sich für das kranke Kind zu entscheiden, während die Gesellschaft alles daran setzt, um CF-Geburten zu verhindern?

In Deutschland sollen genetische Reihenuntersuchungen für rezessive Erkrankungen mit dem Gendiagnostikgesetz verboten werden (6) - hoffen wir mal, dass die Koalition das noch hinbekommt vor Ende der Legislaturperiode. Die Teilnehmer in Garda hörten´s mit Staunen - da war ich direkt ein wenig stolz auf mein Land - und auf den Mukoviszidose e.V., der meine Teilnahme in Garda finanziert hat. Auch mit deutschen Humangenetikern wie Prof. Stuhrmann gibt es große Übereinstimmung. Die Entwicklung in Europa verfolge ich allerdings mit großer Sorge. Was meinen Sie? Ich leite Ihre Meinung gerne weiter an die Experten...

Stephan Kruip (CF, geboren 1965)

Literaturnachweise beim Autor erhältlich. Der Artikel erschien zuerst in muko.info 2/2009

P.S.: Gesetz über genetische Untersuchungen bei Menschen (Gendiagnostikgesetz - GenDG) in Kraft getreten am 01.02.2010
§ 16 Genetische Reihenuntersuchungen
(1) Eine genetische Reihenuntersuchung darf nur vorgenommen werden, wenn mit der Untersuchung geklärt werden soll, ob die betroffenen Personen genetische Eigenschaften mit Bedeutung für eine Erkrankung oder gesundheitliche Störung haben, die nach dem allgemein anerkannten Stand der Wissenschaft und Technik vermeidbar oder behandelbar ist oder der vorgebeugt werden kann.

In der Begründung zum GenDG wurde dazu ausgeführt: Ein Screening im Hinblick auf Anlageträger für rezessive Erkrankungen (wie z. B. Mukoviszidose) – wie dieses in einigen Ländern durchgeführt wird, ist nach § 16 in Deutschland nicht zulässig (da die Anlageträger selbst nicht von der Erkrankung betroffen sind). Eine genetische Untersuchung auf Anlageträgerschaft ist jedoch im Einzelfall als prädiktive genetische Untersuchung zu medizinischen Zwecken möglich.